Selbstbild und Körperbild

Liebe Leserin, lieber Leser.
für das zweite Heft der feldenkrais zeit haben wir das Thema Selbstbild gewählt. Damit möchten wir eines der zentralen Konzepte der Feldenkrais-Methode in das öffentliche Interesse rücken, geht es doch in jeder Feldenkrais-Stunde vorrangig um die Art und Weise, wie sich die daran Beteiligten “sehen”, also empfinden, fühlen und über sich denken, während sie ihre Bewegungen erkunden. Moshé Feldenkrais bezieht sich fast in allen seinen Büchern auf diesen Begriff und erklärte schon in einem frühen Vortrag: “Wir handeln in der Regel nach unseren Möglichkeiten. Das bedeutet, niemand entscheidet oder plant was er tut, wie es sich anfühlen sollte und was es sein sollte. Er tut was er tut und im Moment der Handlung fühlt er was er tut. Mit anderen Worten: jeder handelt nach dem Selbstbild, das er sich ein Leben lang erworben hat. Dieses Bild unterscheidet sich von Person zu Person.” (Moshé Feldenkrais, Alexander Yanai Lektion #303)

Das Bild, das wir über die Jahre von uns entwickelt haben, bestimmt demnach nicht nur unsere psychische Präsenz in der Welt. Sie findet sich ebenfalls in unserer Bewegungsorganisation und damit in unserem Handeln wieder. Wenn wir durch achtsame Wahrnehmung heraus zu finden suchen , wie wir eigentlich was tun, dann wissen wir zu aller erst etwas über die Art und Weise, in der uns unser Selbstbild bewegt. Ob wir dann auch das “tun können, was wir tun wollen”, ist eine interessante lebenspraktische und philosophische Frage. Wir würden gerne im nächsten Heft Ihre Erfahrungen und Meinungen dazu abdrucken.

feldenkrais zeit 2 beginnt mit einem Beitrag von Kordula Hermens, in dem sie dem Begriff Selbstbild bei Moshé Feldenkrais nachspürt und den Zusammenhang zwischen Selbstbild und Handlung herstellt.

Dieser Eröffnung folgt ein Vortrag von Moshé Feldenkrais zum Thema Selbstbild, der bislang noch nicht in deutscher Sprache vorlag. Dabei erweist sich Moshé in seinem Spiel mit den Begriffen Selbst- und Körperbild wieder als der große Verwirrer. Aber, wie schon sein Freund, Heinz von Foerster , erklärte; “Es ist der Verwirrer der das Blickfeld erweitert und mit der Eröffnung neuer Möglichkeiten die Fülle sichtbar macht. Es ist ein guter Geist der verwirrt. Ich meine, daß sich in der Verwirrung, die neue Möglichkeiten sichtbar werden läßt, ein ethisches Grundprinzip manifestiert. Es entsteht Freiheit.”

Der Aufsatz von Klaus Schell entwirrt dann für uns die begrifflichen Varianten, die sich in der wissenschaftlichen Literatur um die Begriffe Selbstbild, Körperbild, Körperschema usw. ranken. Am Ende stellt der Autor ein Modell vor, das man vielleicht als ein Feldenkraisisches bezeichnen kann.
Der Beitrag von Arno Gruen ist ein Wiederabdruck eines Artikels aus der Neuen Zürcher Zeitung, in dem der berühmte Psychoanalytiker über seine Erfahrungen während eines Workshops mit Moshé Feldenkrais berichtet. Im Mittelpunkt stehen dabei die Reaktionen von Menschen, die im Verlauf dieses Workshops zu neuen Bewegungsmöglichkeiten, zu neuen Handlungsspielräumen vorgestoßen waren und deren altes Selbstbild sich gegen diese erweiterte Freiheit sperrte.
Irene Sieben beschreibt die Zeiten der Keuschheit, hinter denen sich das Körperbild der Ballerina verbirgt. Dieser Beitrag lenkt unseren Blick auf die Tatsache, daß Selbstbilder/Körperbilder kulturell und gesellschaftlich konstruierte Tatsachen sind, sich historisch hergestellt haben und dem Kulturwandel unterliegen.

Der Beitrag von Carl Ginsburg ist die Übersetzung seines Artikels Body-Image, Movement and Consciousness: Examples from a Somatic Practice in the Feldenkrais Method, der im Journal of Consciousness Studies, 6, No.2-3, 1999 erschienen ist. Zwar möchten wir in dieser Zeitschrift in erster Linie unveröffentlichte deutschsprachige Beiträge herausbringen. Doch greifen wir auch hier auf einen Aphorismus von Moshé Feldenkrais zurück: “Ich habe kein Prinzip, ausgenommen manchmal.” Carl Ginsburg befasst sich u.a. mit dem Zusammenhang von Bewußtsein, Bewegung und Körperbild und kommt zu der Einsicht, daß Bewußtsein und Körperbild sich nur dann dauerhaft verändern (lassen), wenn der Lernprozeß der Person an reale Lebensbedingungen anknüpft.

Die Palette dieser Beiträge dürfte breit genug sein, um Ihrem Interesse zu entsprechen oder es zu wecken. Nachdem das erste Heft mit dem Themenschwerpunkt “Wurzeln der Feldenkrais-Methode” zu unserer Freude und Überraschung ein außerordentliches Echo ausgelöst hat, haben wir Ihre wohlwollenden Anregungen und Ihre konstruktive Kritik in Heft 2 berücksichtigt. Wir möchten an dieser Stelle all jenen danken, die mit der Redaktion Kontakt aufgenommen haben. Bitte suchen Sie auch weiterhin den Dialog mit uns – zumal wir als Themenschwerpunkt für Heft 3 die weite Überschrift “Feldenkrais im Dialog” gewählt haben und uns auf Ihre Beiträge dazu freuen (bis Dezember 2001). Doch zunächst wünschen wir Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Heftes.

Die Redaktion

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Journal für somatisches Lernen