Ursprünge
Was vor über einem halben Jahrhundert mit den Forschungen und Arbeiten eines einzelnen Mannes, des Physikers und Judo-Experten Moshé Feldenkrais (1904-1984), begonnen hat, ist mittlerweile dabei, sich weltweit zu einer bekannten Lern-Methode auszubreiten: Es gibt Feldenkrais-Ausbildungen in Israel, Europa, Nord- und Südamerika, Australien, Neuseeland und in Japan. Aus den bisher abgeschlossenen Trainings sind einige Tausend Feldenkrais-LehrerInnen hervorgegangen, die die Feldenkrais-Arbeit ausüben. Die Feldenkrais-Methode wird zudem erforscht und kontrovers diskutiert.
Im deutschen Sprachraum gibt es bisher, abgesehen von nationalen Verbandsorganen, keine Fachzeitschrift für Feldenkrais. Das wachsende Interesse, nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit, hat dazu geführt, dass schon vor einer Reihe von Jahren einige Feldenkrais-KollegInnen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland miteinander überlegt haben, eine deutschsprachige Fachzeitschrift zu gründen. Eine englische – das Feldenkrais Journal in den USA – gibt es bereits.
Die Idee zu dieser Fachzeitschrift greift diese Überlegungen wieder auf und erweitert sie zugleich: Auf dem Jahrestreffen der Internationalen Feldenkrais Federation 1997 in Basel wurde das Vorhaben einer überregionalen deutschsprachigen Zeitschrift erstmals konkreter ins Auge gefasst. Ganz offensichtlich war inzwischen die Zeit reif, ein Forum für den geistigen Austausch deutschsprachiger Feldenkrais-LehrerInnen zu schaffen und die interessierte Öffentlichkeit über Feldenkrais zu informieren.
Vier Feldenkrais-Verbände aus drei Ländern fanden sich bereit, dieses Projekt zu unterstützen: Die Feldenkrais-Gilde Deutschland, der Feldenkrais-Verband Österreich, der Schweizerische Feldenkraisverband und der Berufsverband der Feldenkrais-Lehrerinnen und -Lehrer Schweiz. 1998 nahm die Gründungsredaktion ihre Arbeit auf, suchte AutorInnen, einen Verleger, dachte nach über Gestaltung, Organisationsform, Charakter, Ziele und Name der Zeitschrift. FeldenkraisZEIT – den Namen verdanken wir Uta Ruge, Feldenkrais-Lehrerin in Berlin.
Als Moshé Feldenkrais in den vierziger Jahren in seinem Buch „Body and Mature Behaviour“ (in Deutsch erschienen: „Der Weg zum reifen Selbst“) die theoretischen Grundlagen seiner Methode niederschrieb, war er in gewisser Weise seiner Zeit weit voraus. Der Name FeldenkraisZEIT symbolisiert, daß Feldenkrais inzwischen einen Platz in der Zeit und in der Gesellschaft, in der wir leben, eingenommen hat und dabei auf immer größeres Interesse stösst. Mit dem Untertitel ”Zeitschrift für somatisches Lernen” möchten wir die Feldenkrais-Methode den pädagogischen Ansätzen zuordnen, die eine somatisch inspirierte Erziehung und Selbsterziehung verfolgen. Soma bedeutet im Griechischen „der belebte Körper“ (im Unterschied zum physikalischen). So handelt es sich beim somatischen Lernen darum, Zusammenhänge und zweckmäßigen Gebrauch mehr oder weniger unmittelbar über die Orientierung durch die Sinne zu erfahren. Diese Art des Lernens geht dem Lernen in Schule und Ausbildung entwicklungsgeschichtlich und lebensgeschichtlich voraus und begleitet uns ein Leben lang.
Viele der Feldenkrais-Lehrerinnen sind in der Lage, sich der globalen Informationskanäle in Englisch zu bedienen. Aber längst nicht alle. So hoffen wir (und wünschen uns), dass der gegenwärtige Diskurs über die Feldenkrais-Methode mit diesem Forum eine breitere Basis finden möge. Wir kommen damit auch dem Wunsch entgegen, sich in der Muttersprache über Feldenkrais informieren und austauschen zu können. Mehr noch: Wir stellen uns vor, dass diese neue Plattform manches Talent zum Schreiben ermutigt, das sonst unentdeckt bliebe.
Wir wollen mit dieser Zeitschrift die geisteswissenschaftliche Tradition Europas in den Diskurs über die Feldenkrais-Methode einbeziehen. Wir sehen hierin eine Ergänzung zum naturwissenschaftlich geprägten Denken, das sich in vielen Texten der englischsprachigen Feldenkrais-Literatur findet. Gerade von der Verschränkung unterschiedlicher Paradigmen versprechen wir uns, dass Reichtum und Vielfalt der Feldenkrais-Methode sichtbar werden können.
Obgleich die FeldenkraisZEIT durch die nationalen Feldenkrais-Verbände unterstützt wird, versteht sie sich dennoch nicht als Sprachrohr der Berufsverbände. Jenseits von Streitfragen, wie etwa denen um einzelne Ausbildungsformate oder Lehrmeinungen, stehen in diesen Heften die Inhalte der Feldenkrais-Methode im Mittelpunkt. Plattform für verbandspolitische Fragen und berufspolitische Auseinandersetzungen (die wir für sehr wichtig halten) sind weiterhin die Informationsblätter der einzelnen Verbände. Die FeldenkraisZEIT möchte demgegenüber ein Ort der philosophischen, wissenschaftlichen und künstlerischen Betrachtung unserer Arbeit sein. Inhaltliche Kontroversen betrachten wir hierbei als eine Chance, Denk- und Kommunikationsbarrieren auch innerhalb der Feldenkrais-Welt zu reflektieren.
Ebenso liegt uns daran, über den Zaun unserer Disziplin zu blicken und den Dialog mit Nachbarn zu suchen und anzuregen. Deshalb wird diese Zeitschrift immer auch für Artikel von Autoren aus anderen Erfahrungsbereichen offen sein. Wir versprechen uns von diesem interdisziplinären Austausch belebende und herausfordernde Erkenntnisse nicht nur für die Feldenkrais-Methode, sondern auch für unsere eigene Offenheit im täglichen Empfinden, Fühlen, Denken und Praktizieren.
Das erste Heft, das lag auf der Hand, ist den Ursprüngen der Feldenkrais-Methode gewidmet. Natürlich kommt Moshé Feldenkrais hierbei selbst zu Wort: Mit einem erstmals in Deutsch erscheinenden Vortrag zu seinem Konzept vom Lernen und mit einem Kapitel aus seinem letzten und ausgereiftesten Buch, „Die Entdeckung des Selbstverständlichen”(1981). Die kulturgeschichtliche Tradition, in der wir stehen, wird aufgenommen in den Beiträgen von Friedhelm Kemp und Alain. Im Interview mit der ersten Mitarbeiterin von Moshé Feldenkrais, Mia Segal, werden Moshés persönliche Wurzeln deutlich. Verbindungslinien zur Gymnastikbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts stellt Cornelia M. Kopelsky in ihrem Beitrag her. Norbert Klinkenberg knüpft an diesen Bericht an und schildert aus seiner Sicht als Feldenkrais-Lehrer ideengeschichtliche Parallelen zur Feldenkrais-Pädagogik. Robert Schleip beschreibt Moshé Feldenkrais’ Grundlagen in Bezug zur Gehirnforschung aus der Sicht des Kenntnisstandes von heute.
Nun laden wir Sie ein, diese erste Nummer der FeldenkraisZEIT zu erkunden. Möglicherweise stossen Sie beim Lesen auf überraschende Gedanken und Sichtweisen, aus denen sich neue Impulse ergeben. Die Arbeit in der Gründungsredaktion war inspirierend und hat uns sehr viel Freude gemacht. Wir hoffen, dass auch Sie sich mit Vergnügen, Interesse und Aufmerksamkeit in die Lektüre des ersten Heftes der FeldenkraisZEIT vertiefen mögen. Wir sind gespannt auf Ihr Echo und freuen uns auf kritische und anregende Briefe.
Die Redaktion